Die aus der Förderung entfallenen Windindustrieanlagen müssen nach der Erfüllung ihres Genehmigungsziels restlos aus der Landschaft, Natur zurück gebaut werden. Dazu wird in der Genehmigungsphase ein bestimmter Betrag (ab 200.000€) bei der Bank hinterlegt. Nach 20 Jahren ist dieser Betrag jedoch längst überholt.
Die heutigen Rückbaukosten sind mit 600.000 € angegeben. Dieser Betrag wird durch
eine Bürgschaft oft nur zur Hälfte hinterlegt. Bei Insolvenz des
Betreibers trägt der Grundeigentümer oder sogar die Kommune das Risiko.
Deutschland will mehr und größere Windräder bauen. Dafür müssen
Tausende alte Anlagen entsorgt werden. Vieles lässt sich nicht recyceln
und landet auch an dubiosen Stellen in Osteuropa. Über ein schmutziges
Geschäft – und wie deutsche Experten dagegen vorgehen wollen.
Manchmal, sagt Barbora Šišková, kann sie noch
immer nicht glauben, was an jenem späten Winterabend passiert ist. Es
war in der Nacht auf den 13. Dezember vergangenen Jahres, als elf Lkw in
ihr Dorf direkt hinter der deutsch-tschechischen Grenze rollten. Auf
einem Gelände direkt hinter der einzigen Bushaltestelle stoppte die
Karawane und kippte ab, was sie geladen hatte: mehr als 90 Tonnen Müll.
Und zwar nicht irgendwelchen. Unter dem Schrott waren alte Batterien,
Flugzeug- und Autoteile – vor allem aber die Flügel ausrangierter
Windräder. Von Anlagen, die zuvor in Deutschland abgebaut worden waren.
Šišková sagt heute: „Die glaubten, das ist hier das Ende der Welt.“
Šišková ist Bürgermeisterin von Jiříkov, einer Gemeinde mit 3500
Einwohnern zwischen Wiesen und Wäldern, 90 Kilometer östlich von
Dresden. Die 57-Jährige hatte damals keine Ahnung, wer hinter den
Fahrten steckt, bis am 8. Januar weitere sechs Lastwagen eintrafen.
Einer lud erneut seine Fracht ab, darunter ebenfalls abgeschraubte
Rotorblätter. Als die Polizei die Fahrer stoppte, stellte sich heraus:
Der Schrott stammte laut Frachtzettel von einer Recyclingfirma in
Bayern. Illegal als herkömmlicher Plastikmüll deklariert, sollte ihn
eigentlich ein tschechisches Unternehmen wiederverwerten.
Bürgermeisterin Barbora Šišková vor dem Schrott aus Deutschland, darunter große Teile alter Windräder
Stattdessen stapeln sich die Flügel nun wie übergroße Mikadostäbe in
Jiříkov und laut der tschechischen Umweltschutzorganisation Arnika noch
an mindestens zwei anderen Orten des Landes. Bis heute. Jeden Tag, sagt
Šišková, müssten sie den Anblick ertragen und um ihre Natur bangen.
Glasfaserreste könnten in den Boden eindringen, ins Wasser, wirbelten
bereits durch die Luft. Es sind Reste der deutschen Energiewende.
Fast die Hälfte der bestehenden Anlagen ist älter als 15 Jahre, ein
gutes Viertel sogar älter als 20 Jahre. Viele von ihnen werden in den
kommenden Jahren abgeschaltet. Neben technischen Gründen hat das vor
allem wirtschaftliche: Das im Jahr 2000 erlassene
Erneuerbare-Energien-Gesetz garantiert den Anlagenbetreibern
Einspeisevergütungen – aber nur für 20 Jahre.
Ohne die Bezuschussung rechnet sich jedoch der Weiterbetrieb vieler
Windräder nicht mehr, Wartung und Reparatur werden mit zunehmendem
Lebensalter zu teuer.
Alte Rotorenblätter lagern seit einigen Monaten mutmaßlich illegal im tschechischen Jiříkov
Die Folge: Bis 2030 fallen laut Umweltbundesamt
jährlich rund 20.000 Tonnen Abfälle allein aus alten Rotorblättern an –
in den 2030er-Jahren könnten es bis zu 50.000 Tonnen im Jahr sein. Zum
Vergleich: Derzeit liegt das jährliche Abfallaufkommen bei etwa 4000 bis
5000 Tonnen.
Wohin also damit? In den USA werden die Teile bislang schlicht auf
Deponien geworfen. Hierzulande ist das verboten. Landen die Rotoren
nicht auf illegalen Flächen wie in Jiříkov, dienen sie bislang als
Brennstoff in der Zementherstellung. Die sogenannten
glasfaserverstärkten Kunststoffe und selbst das enthaltene wertvolle
Balsaholz werden einfach verfeuert.
Was offiziell als „thermische Wiederverwertung“ bezeichnet wird, ist
in Wirklichkeit reine Verschwendung von Rohstoffen, die alles andere als
grün ist. Einige Unternehmen, darunter das oben genannte in Bayern,
werben damit, die gesamte Anlage „umweltschonend zu recyceln“. Bereits
vor drei Jahren warnte das Karlsruher Institut für Technologie in einem
Bericht davor, Rotorblätter könnten auf „ungeeigneten Wegen entsorgt“
oder zur „Scheinverwertung exportiert“ und „im Ausland abgelagert“
werden. Die Warnungen haben sich mancherorts bewahrheitet. Um das zu
verhindern, arbeiten Forscher an Verfahren, die die Wiederverwendungen
einfacher und billiger machen sollen – und die wertvollen Stoffe
zurückgewinnen.
Armin Varmaz ist Professor für Finanzökonomie und Experte für den
Rückbau von Windkraftanlagen an der Hochschule Bremen. Gemeinsam mit dem
Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme hat er ein Handbuch
herausgegeben, wie es am billigsten und einfachsten funktionieren kann,
so einen oft 130 Meter großen Koloss wieder einzureißen. Bislang
beschäftigte er sich zwar vor allem mit Anlagen auf dem Meer. „Das
Vorgehen und die Probleme“, sagt er, „sind aber an Land etwa die
gleichen.“ Auf dem Wasser, sagt er, sei alles nur „noch ein bisschen
teurer und aufwendiger“.
Eigentlich, sagt Varmaz, sei der Rückbau „gar nicht so kompliziert.“
Alle Teile montiere man nach und nach ab: zuerst über der Erde
Rotorblätter, Nabe, Gondel und Turm, dann im Boden das Fundament und die
Kupferkabel. Zerlegt in ihre Einzelteile wird manche alte Anlage
anschließend ins Ausland verkauft, etwa nach Osteuropa. Die überwiegende
Mehrheit wird jedoch geschreddert. „Das meiste Material lässt sich gut
wiederverwerten“, erklärt Varmaz.
Das ist Alles darauf ausgelegt, sich nicht mehr voneinander zu trennen. Armin Varmaz, Professor für Finanzökonomie, Bremen
Zu fast zwei Dritteln bestehen die Teile aus Beton. Der lässt sich vor
Ort zerkleinern und als Schotter bei Straßen und Wegen wieder einsetzen.
Das andere knappe Drittel, der Stahl, kann eingeschmolzen werden.
„Schwierig“, sagt er, „ist nur der letzte kleine Rest.“ Sprich, die
verbliebenen zwei bis drei Prozent und weithin besonders sichtbaren
Bestandteile: die Flügel.
Das Komplizierte daran: Sie sind über ihre Länge hinweg größtenteils
wie ein Sandwich aufgebaut. Die äußeren Schichten bestehen aus
glasfaserverstärkten Kunststoffen, der Kern aus Balsaholz. Dazu kommen
Harze und Kleber. Wegen dieser Struktur können die Rotorblätter
möglichst groß sein, zugleich aber stabil und leicht. „Das alles ist
darauf ausgelegt, sich nicht mehr voneinander zu trennen“, sagt Varmaz.
Beim Recycling muss aber genau das passieren, nur separat lassen sich
die Stoffe wieder einsetzen.
Alte durch neue Anlagen ersetzen – Repowering heißt das unter
Fachleuten. Bis zu fünfmal so viel Strom liefert ein leistungsstärkeres
Modell. Das hat viele Vorteile. Auf gleicher Fläche lässt sich deutlich
mehr Energie erzeugen, die neue Technik macht weniger Lärm. Weniger
Windräder müssen gewartet und repariert werden. Bis zu 600.000 Euro
kostet es im Schnitt, eine Anlage vollständig abzubauen – Kosten, die in
der Regel bei der Planung eingepreist und durch eine Bürgschaft
abgesichert sind.
Trotz des Aufwands und der Summen macht Finanzökonom Varmaz klar: „Die
Windkraft ist in der Erzeugung die günstigste Energie, mit Abstand.“ Bau
und Erhalt der Anlagen und selbst der Rückbau seien deutlich billiger
als etwa der von Atomkraftwerken oder Kohletagebauen. Zudem brauche es
keinen teuren Rohstoff wie Uran. Und dennoch bleibt das Problem mit den
aussortierten Propellern.
Wie sich das lösen lässt, will Niels Ludwig herausfinden, Leiter der
Abteilung für Rotorblätter am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme
in Bremerhaven. 30 gebrauchte Blätter sollen dafür auf dem Gelände
eines Rotorenherstellers in etwa zehn Meter lange Stücke zerteilt,
Balsaholz und Schaum entfernt werden. Die Stücke werden geschreddert,
ein Teil davon in sein Bremerhavener Labor transportiert. Gemeinsam mit
seinem Team möchte Ludwig testen, wie gut sich mithilfe eines
thermischen Verfahrens, der Pyrolyse, die einzelnen Komponenten voneinander trennen lassen.
Das Gemisch kommt dafür in einen speziellen Ofen, in dem sich das Harz
und der Kleber auflösen. Gas und Öl entstehen, die anschließend zur
Energiegewinnung und in der chemischen Industrie eingesetzt werden
können. Am Ende bleibt die reine Glasfaser übrig – und eine wesentliche
Hürde: Das Ganze ist viel zu teuer. Ludwig sagt: „Neue Glasfasern kosten
fast nichts.“ Recycelte Fasern aus dem Labor seien dagegen
„unbezahlbar“. Nur etwa halb so hoch dürften die Preise aber sein. Erst
dann lohne es sich.
Künstliche Intelligenz soll helfen
Genau daran arbeiten Ludwig und seine Kollegen aktuell. Bislang weiß
man beispielsweise nicht, was im Detail in den alten Blättern überhaupt
steckt, welche Art von Glasfasern, Harzen, Klebern. Nur „sortenrein“,
wie es in der Branche heißt, ließen sich aber die Materialien günstig
wiederverwenden. Die Forscher entwickeln daher eine Methode, die
mithilfe von künstlicher Intelligenz die verschiedenen Schnipselsorten
erkennt und möglichst sauber voneinander trennt.
Ludwig sagt: „Funktioniert das Verfahren einmal, kann man das auch für
andere Produkte verwenden.“ Denn von Fasern durchzogene Kunststoffe
finden sich auch in Trink- und Abwasserleitungen, in Rennrädern, Autos
und Flugzeugen. Je häufiger die Methode wiederum zum Einsatz kommt,
desto günstiger wird sie. Laut Ludwig müsse die Politik dafür vor allem
eines tun: Verbieten, dass die Flügel verbrannt werden.
Große Hoffnungen liegen auch auf einem anderen Weg: Siemens Gamesa, die
spanische Tochterfirma von Siemens Energy, hat 2021 die ersten Rotoren
gebaut, die sich von Anfang an vollständig recyceln lassen. Ihr Rezept:
Ein neues Kunstharz, das sich mithilfe einer milden Essigsäure auflösen
lässt, sodass sich Glasfasern und Holz voneinander trennen. In neuen
Anlagen werden diese Substanzen bereits eingesetzt. 20 Jahre müssen sie
nun stabil sein, sich danach leicht lösen lassen. „Ob das wirklich im
industriellen Maßstab wirtschaftlich funktioniert“, so Ludwig, „wird
sich erst dann unter Beweis stellen.“
Der mutmaßliche Müllskandal von Jiříkov hat inzwischen hohe Wellen
geschlagen. Der tschechische Umweltminister war vor Ort, bayerische
Zollfahnder haben die Räume des Recyclingunternehmens in der Oberpfalz
durchsucht, Verdacht auf illegale Ausfuhr von Müll. Barbora Šišková hat
indes nur ein Ziel: „Das Zeug soll endlich weg.“ Bis zum 21. März lief
die Frist für die verantwortliche Firma, ihre Fracht wieder abzuholen.
Geschehen ist bislang: nichts.
Hintergrund:
30.405 Windräder mit einer Leistung von insgesamt 70.000 Megawatt
lieferten im vergangenen Jahr fast 32 Prozent des Stroms in Deutschland –
28.766 Anlagen an Land, 1639 auf dem Meer.
Im Verhältnis zu seiner Landesfläche hat Bayern nach Berlin die
geringste Leistung geliefert, an der Spitze sind Schleswig-Holstein,
Bremen, Brandenburg.
224 alte Anlagen wurden 2024 durch neue Anlagen ersetzt. Deren
Leistung liegt nun bei insgesamt 1191 Megawatt. Bei diesem sogenannten
Repowering werden in der Regel Windräder mit höheren Masten und größeren
Rotorblättern eingesetzt.
14.000 Megawatt kamen 2024 von bundesweit 2400 neu zugelassenen
Windrädern dazu. Das ist eine Steigerung um 85 Prozent gegenüber dem
Vorjahr. Trotz der vielen Genehmigungen sank die Bearbeitungs- und
Bauzeit auf insgesamt 23 Monate – das ist gut zehn Prozent schneller als
noch 2023.